Der gute Wachhund

Das stellt sich doch jeder so vor. Der eigene Hund, egal welcher Rasse und Herkunft, ist ein lieber, netter, verschmuster Zeitgenosse, der irgendwie seinem Menschen alles von den Augen abliest, aber zur grimmigen, alles fressenden Bestie mutiert, wenn seinem Menschen Gefahr droht. In den Vorstellungen dieser Leute geistern dann Bilder von einem wilden geifernden Hund, der sich, seinen Besitzer verteidigend, in den Arm oder das Bein des „Angreifers“ verbeißt und ihn mutig in die Flucht schlägt. Ein Hund, der von allein weiß, wann er seinen Menschen oder seine Familie wie beschützen muss, aber sofort wieder zu einem netten und lieben Hund wechselt, sobald alles vorbei ist und den dann jeder sozusagen abschmusen kann.

Leider gehören diese Szenen zu Leinwandfilmen, bzw. zu Kurzvideos, die im Internet zu finden sind. Der Hund, der wirklich denkt wie ein Mensch, wie einer überlegt, abwägt und dann „richtig“ entscheidet, ist definitiv ein Wunschtraum des Menschen.

Viele dieser Menschen legen sich „Wachhunde“ zu, die genau diesen Idealen entsprechen sollen. Hunde, die nicht nur als Familienmitglied dienen, sondern auch dazu da sind, Hof und Haus zu beschützen. Vielen reicht es, wenn der Hund bellt, was oft respekteinflößend genug ist. Hat der Hund dann auch noch die entsprechende Größe, gehört er der entsprechenden Rasse an, oder hat er die entsprechende Farbe, reicht die imposante Erscheinung, um Fremden zu erklären: „Ähhhh, da lebt ein Hund, da sollten wir vorsichtig sein!“ Mutmaßliche Einbrecher werden von einem Hund abgeschreckt, da ein Hund Lärm verursacht. Lärm, den solche Leute keinesfalls brauchen können, wenn sie in einer Nacht- und Nebelaktion das Haus ausräumen wollen. Grundsätzlich heißt es, ein bellender Hund bietet einen gewissen Schutz, da mögliche Langfinger davon abgehalten werden, in das Haus einzusteigen.

Wie sieht es aber nun einen Schritt weiter aus? Reicht es, wenn ein Wachhund nur bellt? Oder wünscht sich der Mensch, dass dieser Hund auch sofort das Haus oder den Hof verteidigt, sollte der Langfinger das Bellen ignorieren und trotzdem einsteigen? Wie soll diese Verteidigung dann aussehen? Sofortiger Angriff? Abwehr durch Zubeißen? Den „Verbrecher“ an die Wand stellen und warten, bis Herrli oder Frauli nach Hause kommen?

Was ist, wenn dieser Hund, von dem man all dieses erwartet, rein gar nichts tut, zwar mörderisch bellt, aber schließlich schwanzwedelnd auf den Fremden zuläuft, sich von ihm streicheln lässt und mit seiner Körpersprache „Ach, ich bin allein. Schön, dass du da bist. Spielen wir ein bisschen“ erklärt? Vielleicht wirklich den Ball oder ein anderes Spielzeug holt und diesen Fremden auffordert, mit ihm zu spielen?

Es fasziniert mich immer wieder, wie viele Menschen davon überzeugt sind, dass ihr Hund das Haus sofort auf Gedeih und Verderb verteidigen würde. Dabei spielt die Rasse keine Rolle. Golden Retriever, Border Collies, mittelgroße Mischlinge irgendeiner Herkunft, dazwischen ein Dackel, vielleicht ein Jack Russell oder Chihuahua, dann möglicherweise doch mal ein Schäferhund. Viele sind, wenn man sie fragt, überzeugt, dass ihr Hund, in einer Notsituation für die Person, sich einmischen und den Angriff abwehren würde, genauso wie viele davon überzeugt sind, dass der Hund den Eindringlich mit Nachdruck vertreiben würde, wenn es notwendig ist, auch mit einem Biss.

Na, wie sieht es mit euren Hunden so aus? Seid ihr auch davon überzeugt, dass euer Hund euch jederzeit verteidigen würde und auch das Haus sehr aussagekräftig bewacht?

 

Vermutlich schreien jetzt viele von euch Zeter und Mordio, wenn ich behaupte, dass nur ein kleiner Bruchteil der angeblich perfekten Hunde wirklich dazu übergehen würde, sich selbst effektiv einzusetzen. Egal, ob es um den Personenschutz oder um den Schutz von Heim und Haus geht. Der Grund ist eigentlich ganz einfach. Unsere Hunde dürfen nicht mehr aggressiv sein, sonst sind sie nicht sozialisiert. Sie dürfen sich ja noch nicht mal untereinander anknurren, und sollte, oh Gott, eine Rauferei entstehen, wird gekreischt und geschrien, die Hunde werden getrennt, vielleicht gehen jetzt die Besitzer aufeinander los, kann ja sein, aber grundsätzlich wird diese Art von Verhalten nicht gerne gesehen. Beißen Hunde, aus welchen Gründen auch immer, ernsthaft zu, verletzen sie Menschen, steht es in allen Zeitungen, wird über die Medien verbreitet und daraus eine Mördersache gemacht. Handelt es sich dabei und entsprechende Rassen, generell als Listenhunde bekannt, ist die Story perfekt. Es wird in alle Tonlagen diskutiert, von wegen, wer war schuld, nein der Hund ist nie schuld, was hat zu dem Unfall geführt, war der Hund sozialisiert, war er auffällig … die Bandbreite ist unsagbar lang und könnte ein ganzes Buch füllen.

Wir sind in der Hundeerziehung darum bemüht, einen netten, lieben, verträglichen Hund heranzuziehen, der mit allen auskommt, sich von allen anfassen lässt, den man überall hin mitnehmen kann, der jeden anlächelt und vor lauter Lieb nur noch schlabbert. Je lieber, netter und erzogener der Hund ist und je besser er dem menschlichen Grundverhalten angepasst ist, desto besser fällt er auf und wird als absolut „brav“ eingestuft. Damit wären wir bei dem schönen Wort „Sozialisierung“ was nichts anders bedeutet, wie ein Individuum an sein Umfeld und die Gesellschaft angepasst ist. Wir machen den Hund praktisch so, wie wir ihn gerne hätten und bezeichnen das als „sozialisiert“, sehr oft ohne Rücksicht auf sein natürliches Verhalten, da sein natürliches Verhalten leider nicht in unser Lebensschema passt. Ergo, ein aggressiver Hund wurde, nach dem Gedankengang der heutigen Menschen, falsch großgezogen, weiß Gott was er erlebt hat, man hat ihn geschlagen, er hat zu viel Druck bekommen, man hat ihn gedrillt, man hat ihn gar nicht erzogen … es gibt bestimmt noch hunderte, mögliche Gründe, gekoppelt mit den sogenannten „Heilungsversuchen“.  Unermessliche viele Tipps, ohne das Tier zu kennen oder je gesehen zu haben. Verfolgt man solche Geschehnisse im Netz, gleicht das oft einer Realityserie mit unbekanntem Ausgang.

Kommen wir zurück zu unserem Wachhund und vermeintlichen Schutzhund.

Jemand, der behauptet, er habe einen Wachhund, muss definieren, was er unter Wachhund versteht. Ein Hund, der nur bellt? Okay. Von denen gibt es genug. Oder einen Hund, der auch zum Angriff übergeht?

Wer der Meinung ist, sein Hund würde das tun, soll sich bitte auch überlegen, ob der Hund noch gewillt ist, anzugreifen, wenn er den ersten Tritt kassiert hat, wenn ihm jemand einen Gegenstand auf den Schädel gedonnert hat, oder wenn er vielleicht mit Futter (z.B. leckere Würstchen) verführt wird. Menschen, die böses im Sinn haben, sind vielleicht auch nicht unbedingt freundlich, wenn sie auf einen Hund treffen. Hunde, die nie gelernt haben, mit solchen Situationen umzugehen, geraten fix an ihre Grenzen und gehen in die Defensive. Das heißt, sie begreifen, dass sie den Kürzeren ziehen werden, bellen vielleicht noch aus der Entfernung, sind aber für den möglichen „Täter“ keine Bedrohung mehr. Zudem muss so ein Hund auch lernen, wie sich Gefahr „anfühlt“, wie diese aussieht und was man macht, wenn ihm eine Situation suspekt vorkommt. Man kann einen ganz einfach Test mit dem eigenen Hund machen. Man geht mit dem Hund spazieren und bittet einen Bekannten, den der Hund nicht kennt, auf einen zuzugehen, aus einem Gebüsch zu springen oder eine hitzige Diskussion (Streit) anzufangen. Der Fremde kann einen anpöbeln, schubsen, geht deutlich auf Konfrontation. Was macht der Hund? Erkennt er die Situation, oder hält er sich zurück, zeigt an, dass er nicht weiß, was er machen soll? Die wenigstens Hunde wissen das, denn zuzubeißen, zu verteidigen, vielleicht sogar Gegenwehr einzustecken, muss gelernt sein. Sonst wäre es allzu einfach. Auch Menschen müssen lernen, in gewissen Situationen richtig, oder sagen wir, überhaupt zu reagieren, sonst gäbe es die schönen Bilder nicht, wenn Unfallopfer mit offenen, blutenden Wunden auf der Straße, oder wo auch immer, liegen und von Vorbeikommenden oder Passanten nur still angegafft werden. Viele zu viele, die sich nicht zu helfen wagen. Sie haben Angst, wissen nicht, was tun, waren noch nie in dieser Lage und fallen selbst in eine Art Schock. Einer, der weiß was zu tun ist, der es gelernt hat, packt zu.

Genau verhält es sich mit der Verteidigung. Würden Frauen wissen, wie man sich effektvoll verteidigt und es auch tun, gäbe es nicht so viele Vergewaltigungsopfer. Fakt ist, angegriffene Frauen fallen genauso in eine Art Schock, wissen nicht, was zu tun ist, hatten noch nie so eine Situation und haben folglich auch keine Ahnung, wie sich wehren. Beim Hund ist das ähnlich. Ein Hund, der seinen Menschen verteidigen soll, muss lernen, Situationen zu erkennen und wissen, wie effektvoll helfen. Woher soll er es wissen, was man es nur von ihm erwartet, aber vergessen hat, es ihm beizubringen? Ein Hund, der solche Situationen noch nicht erlebt hat, steht da, wie der Ochs vorm geschlossenen Scheunentor und hat keinen blassen Dunst, was er tun soll. Kassiert er dann auch noch einen Schlag, einen Tritt oder wird mit anderen Mitteln „abgewehrt“, weil er vielleicht doch bellt, erfährt er Schmerz, den man auch ertragen lernen muss, ist es aus mit dem Verteidigungswillen. Es reicht oft schon, auf einen Hund böse brüllend zuzulaufen und ihn mit einem raschelnden Plastiksack zu bedrohen. Ich wage zu wetten, dass die meisten Hunde zwar bellen, aber mit eingekniffenem Schwanz auf Abstand gehen, weil sie einfach nicht wissen was tun. Sie stehen vor einer unbekannten Situation.

Genauso verhält es sich mit ausgebildeten Schutzhunden, sogenannten IPO Hunden. Kann man sich darauf verlassen, dass diese Hunde einen wirkungsvoll verteidigen? Nun, es mag welche geben, die die Situation richtig einschätzen, die Mumm in den Knochen haben, viel Selbstvertrauen besitzen und ziemlich energisch erklären, dass sie jetzt mit allem rechnen und auch bereit sind, einzustecken. Viele tun das jedoch nicht. Das beweist allein die Tatsache, wenn der Figurant den Ärmel, weil er vielleicht Linkshänder ist, an der linken Hand trägt. Obwohl dem Hund die Situation des Angriffs vertraut ist, ist der Ärmel nicht dort, wo er sonst immer ist und das Tier geht entweder verklemmt an den Angriff heran oder verweigert ihn ganz, was nicht unbedingt auf einen Hund schließen lässt, der mich in der Gefahrensituation verteidigt, da dann der Ärmel komplett fehlt. Es gibt genug IPO Hunde, die nicht zubeißen würden, wenn der Ärmel fehlt. Sie haben es nicht gelernt. IPO Hunden wird ein Programm antrainiert, welches immer im selben Schema abläuft. Der Hund weiß was kommt. Das weiß er aber nicht, wenn jemand vor seinem Menschen steht und ihn mit einem Messer bedroht. Er kennt es schlicht nicht und wird Hemmungen haben, zu reagieren, weil er nicht weiß wie. Auch ein untrainierter Mensch weiß nicht, wie er sich gegen jemanden, der eine Waffe in der Hand hält, verteidigen soll. Wie soll es der Hund wissen?

Man sagt, Hunden ist die Verteidigen des Rudels (Mensch) bzw. Schutz des Reviers (Haus und Heim) angeboren … ja, wenn wir es nicht weggezüchtet bzw. durch Sozialisierung abgewürgt hätten. Ja, natürlich gibt es Hunde, die diese Verhaltensweisen haben und auch ohne Kompromisse dazu übergehen würden, ihre Waffe einzusetzen. Diese Hunde gelten im Allgemeinen nicht unbedingt als lieb, nett und verträglich, lecken nicht jeden Besuch ab und finden Fremde im Allgemeinen nicht so toll. Meist sind solche Hunde äußerst selbstbewusst, besitzen viel Mut, sind oft nicht besonders verträglich, mögen keine Fremden und nehmen jeden aufs Korn, der das Grundstück betritt. Sie haben keine Beißhemmungen und greifen auch dann an, wenn es gerade nicht „gefährlich“ ist, weil sie einen anderen Filter haben. Sie sehen oft schon Gefahr, wo keine ist. Genauso verhält es sich mit Hunden, die einen auf Leben und Tod beschützen wollen. Auch sie sind Fremden gegenüber häufig nicht besonders wohl gesonnen, gelten als bissig und sehen Gefährlichkeiten, wo keine sind. Ich hatte so einen Hund, dem es durchaus reichte, wenn jemand auf mich zukam, der nicht zur Familie gehörte. Er sah es als Gefährdung für mich, egal, ob es nun stimmte oder nicht. Mit ihm hinauszugehen war nur unter Sicherheitsvorkehrungen möglich, denn, obwohl dieser Hund sehr gut geführt war, konnte ich nicht jede Situation vorhersehen, die der Hund als mögliche Gefahr einstufte. Manches war für mich einfach nicht erkennbar und er hätte mich gegen Gott und die Welt verteidigt. Bei der Polizei testeten wir aus, wie weit man gehen müsste, um diesen Hund abzuwehren. Zuerst versuchte man es mit einfachen Mitteln, doch selbst Drohungen, lautes Gebrüll und Gegenstände, die ihm entgegengeworfen wurden, selbst versuchte Ablenkungen mit Diensthunden brachten den Hund nicht dazu aufzuhören, mich verteidigen zu wollen. Mir wurde damals bewusst, einen wirklich „gefährlichen“ Hund zu haben, denn es genügte eine kleine Unachtsamkeit, es genügte ein Mensch, der auf mich zu rannte und „hallo“ sagen wollte, um ihn zum Angriff zu verleiten. Natürlich konnte ich ihn mit einem Kommando bremsen, keine Frage, aber mir war es eben nicht möglich, alles zu erkennen und frühzeitig im Keim zu ersticken. Es gibt solche Hunde und all jene Menschen, die so einen Hund haben, sagen dasselbe. Es ist weit einfacher, einen netten, lieben und verträglichen Hund zu haben, als einen, der seine „Aufgabe“ ernst nimmt. Man kann diese Hunde schwer einschätzen, ihr Aufgabenbewusstsein nicht „einfach so“ wegtrainieren und auch nicht wegkastrieren, der Hund ist, wie er ist. Entweder man kann damit umgehen oder man schließt ihn eben weg. Aber eines sind diese Hunde allemal. Zuverlässige Wächter und Beschützer, denn sie unterscheiden nicht zwischen Freund und Feind, sondern sehen nur ihre Familie, ihr Heim und Punkt, ohne Kompromiss.

Was auch noch ein gewisser Aspekt ist, wäre die Rasse. Es gibt Rassen, die wurden Jahrzehnte auf etwas hingezüchtet. Sich einen Golden Retriever als Wachhund zu halten, ist süß, denn der Goldi wurde Jahrzehnte lang als Jagdapportierhund gezüchtet. Nun, vermutlich wird der Goldi dem Einbrecher helfen, die Beute hinauszutragen, während der Border Collie dafür sorgt, dass niemand zurückbleibt. Der Pudel wird versuchen, die Fremden aufzuheitern, während der Husky ihm ein Heulkonzert vorsingt und bei geöffneter Türe erst mal verschwindet, um eine Runde im Alleingang zu drehen. Es gibt eigene Rassen, die sich durchaus gut als Wachhunde und auch als Hunde für den eigenen Schutz eignen, aber auch ihnen muss man zeigen, wie es geht. Und sollte es dennoch passieren, der Hund jemanden beißen, weil dieser jemand unbefugt das Grundstück oder das Haus betreten hat, so liegt das Recht nicht beim Hund. Es folgt eine Anzeige wegen schwerer Körperverletzung, die sich bis zu einer Zahlung von Schmerzensgeld ziehen kann. Es können Sonderauflagen in der Hundehaltung folgen und schlimmstenfalls kann einem der Hund auch weggenommen werden. Ob es jetzt wirklich günstig ist, einen wirklich guten Wachhund zuhause zu haben, der weiß, wie er Haus und Heim effektiv zu schützen hat, sei dahingestellt, denn es ist mit vielen Problemen verbunden, wenn dieser Hund vielleicht den Falschen beißt. Vielleicht sollten wir in unseren Breitengraden doch bei dem bellenden Hund bleiben, der sich nicht so sicher ist, was er bei Bedarf zu tun hat, vielleicht lediglich wild herumhopst, aber grundsätzlich ein gutmütiger Trottel ist.

Ein Hund kann durch seine Präsens eine „Schutzfunktion“ haben, aber sich darauf zu verlassen, ohne es zu wissen, ob der Hund es kann, wäre ein fataler Fehler.